Juli 14, 2022

Erfüllung von Urlaubsansprüchen bei mehreren Anspruchsgrundlagen

§ 3 Abs. 1 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG), regelt den gesetzlich vorgeschriebenen Mindesturlaub, der dem Arbeitnehmer zusteht. Ausgelegt auf eine Sechstagewoche, handelt es sich dabei um einen Anspruch auf 24 Tage bezahlten Erholungsurlaub. Da die meisten Arbeitnehmer ihre Arbeit in einer Fünftagewoche verrichten, ist dieser Anspruch dementsprechend herunterzurechnen. Es ergibt sich daher ein Anspruch auf 20 Tage Erholungsurlaub. Dabei handelt es sich um einen Mindestanspruch, von dem gemäß § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG, nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden kann.


Da Ziel der Unabdingbarkeit des Mindesturlaubsanspruchs der Arbeitnehmerschutz ist, ist es naheliegend, dass zugunsten des Arbeitnehmers von den 20 Tagen Urlaub abgewichen kann. So kommt es häufig vor, dass arbeitsvertraglich, oder aber auch tarifvertraglich, mehr Urlaubstage vorgesehen sind. Für einen Anspruch aus dem Tarifvertrag ist eine Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien vorausgesetzt.

Schwerbehinderten Menschen steht gemäß § 208 Abs. 1 Neuntes Sozialgesetzbuch (SGB IX), ein zusätzlicher Urlaub von fünf Tagen, bei einer Fünftagewoche zu.

Welchen Anspruch erfüllt der Arbeitgeber, bei der Gewährung von Urlaub?


Mit dieser Frage hatte sich jüngst das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 01.03.2022, BAG 9 AZR 353/21 auseinanderzusetzen.

Hierbei ging es um die Gewährung von Urlaub, wobei zwischen den Parteien streitig war, welcher Urlaubsanspruch genau erfüllt wurde. Der Arbeitnehmer hatte 32 Tage Urlaubsanspruch aus arbeits- beziehungsweise tarifvertraglichen Regelungen, wovon 20 Tage gesetzlicher Mindesturlaub waren, sowie fünf Tage Zusatzurlaub, aufgrund seiner Schwerbehinderung. Für das streitgegenständliche Jahr 2016, wurden dem klagenden Arbeitnehmer 26 Urlaubstage gewährt. Dieser wollte im Nachhinein Abgeltung für fünf Tage Zusatzurlaub wegen seiner Schwerbehinderung, da das Arbeitsverhältnis bereits geendet hatte. Eine Erfüllung des Urlaubsanspruches in natura, ist nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich.

Der Gesetzgeber hat in Zweifelsfragen zu Leistungen auf mehrere Forderungen, Regelungen in § 366 BGB getroffen. Wenn das zur Tilgung sämtlicher Schulden Geleistete, in diesem Fall der gewährte Urlaub, nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden ausreicht, so wird gemäß § 366 Abs. 1 BGB diejenige Schuld getilgt, welche bei der Leistung bestimmt wurde. Im zugrunde liegenden Fall machten die Arbeitsvertragsparteien keinerlei Absprachen dazu, ob der Urlaub aufgrund des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs, aufgrund des arbeits- beziehungsweise tarifvertraglich vereinbarten Mehrurlaubs, oder aufgrund des wegen der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers bestehenden Zusatzurlaubs gewährt wurde.

In solchen Fällen trifft § 366 Abs. 2 BGB eine Zweifelsregelung. Ohne Bestimmung durch den Schuldner (in diesem Fall den Arbeitgeber) wird zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen diejenige, welche dem Gläubiger (hier dem Arbeitnehmer) geringere Sicherheit bietet, getilgt. Sollten die Schulden gleich sicher sein, so wird die dem Schuldner lästigere, unter mehreren gleich lästigen die ältere Schuld und bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig getilgt.

Die dem allgemeinen Teil des Schuldrechts zuzuordnende Regelung des § 366 BGB, findet laut dem Bundesarbeitsgericht auch im Arbeitsrecht Anwendung, insbesondere bei mehreren Urlaubsansprüchen. So entschied dieses, dass § 366 BGB Anwendung findet, wenn die Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht zur Erfüllung sämtlicher Urlaubsansprüche ausreicht. Sollte der Arbeitgeber keine Bestimmung zur Tilgung im Sinne des § 366 Abs. 1 BGB vornehmen, so findet § 366 Abs. 2 BGB entsprechende Anwendung. Dies hat zur Folge, dass zuerst gesetzliche Urlaubsansprüche und danach, den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende Urlaubsansprüche, erfüllt werden.

Die Begründung des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgericht vertritt die Ansicht, dass zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und sich mit diesem überschneidenden arbeits- oder tarifvertraglichem Mehrurlaub, teilweise Anspruchskonkurrenz besteht, weswegen § 366 BGB insoweit nicht direkt anzuwenden ist. Soweit jedoch der übergesetzliche Urlaub eigenständigen Regelungen unterliegt und die gesetzlich vorgesehenen 20 Urlaubstage übersteigt, findet § 366 BGB entsprechende Anwendung.

Grund hierfür ist, dass der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub an keiner weitergehenden Voraussetzungen geknüpft ist, als an das Bestehen des Arbeitsverhältnisses.  Für Ansprüche auf Mehrurlaub aus Tarifvertrag, sowie Zusatzurlaub wegen Schwerbehinderung, müssen weitere Tatbestandsmerkmale vorliegen.

Das Bundesarbeitsgericht kommt also zu dem Ergebnis, dass insoweit sich der gesetzliche Mindesturlaub (20 Tage) und der tarifvertraglich vorgesehene Urlaub (in diesem Fall 32 Tage) überschneiden, Anspruchskonkurrenz vorliegt, § 366 BGB somit nicht direkt anwendbar ist. Soweit der tarifvertragliche Anspruch über den gesetzlichen Mindestanspruch hinausgeht (in diesem Fall 12 Tage), ist § 366 BGB entsprechend anwendbar. Es handelt sich insoweit um einen rechtlich verselbstständigten Forderungsteil. Der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen ist gegenüber dem gesetzlichen Mindesturlaub und den arbeits- beziehungsweise tarifvertraglichen Ansprüchen auf Erholungsurlaub, ebenfalls ein selbstständiger Anspruch.

Konkret heißt dies, dass sich drei Ansprüche beziehungsweise Anspruchsbündel gegenüberstehen. Soweit sich der gesetzliche Urlaubsanspruch in Höhe von 20 Tagen und der arbeits- beziehungsweise tarifvertraglich vorgesehene Urlaubsanspruch überschneiden, besteht faktisch ein Anspruch auf 20 Tage Urlaub. Hinzu kommt der darüber hinausgehende Anspruch, somit zwölf weitere Tage und noch fünf Tage Zusatzurlaub.

Mangels einer Bestimmung des Arbeitgebers, welche Schuld getilgt wird, greift demnach nicht § 366 Abs. 1 BGB, sondern § 366 Abs. 2 BGB in entsprechender Anwendung.

Die Rechtsprechung kommt dann zu dem Ergebnis, dass die gesetzlichen Urlaubsansprüche zuerst getilgt werden und erst danach die weitergehenden Ansprüche, aufgrund arbeits- beziehungsweise tarifvertraglicher Regelungen. Das Bundesarbeitsgericht sieht eine urlaubsrechtliche Akzessorietät zwischen dem Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen und dem gesetzlichen Mindesturlaub aus § 3 BUrlG. Daher ist der gesetzliche Urlaubsanspruch für Schwerbehinderte, als um fünf Tage erhöht anzusehen.

Demnach hat der Arbeitgeber durch die Gewährung von 26 Tagen Urlaub, 20 Tage gesetzlichen Mindesturlaub, fünf Tage Zusatzurlaub und einen Tag Mehrurlaub aufgrund vertraglicher Ansprüche gewährt.

Warum ist die Unterscheidung zwischen den Anspruchsgrundlagen wichtig?

In diesem, dem Urteil zugrundeliegenden Fall, ging es um Urlaubsabgeltungsansprüche, aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Für den gesetzlichen Mindestanspruch auf 20 Tage Urlaub, sehen das Gesetz, sowie die Rechtsprechung Absicherungen vor. Diese gelten, wenn der Arbeitnehmer – wie auch im Fall des Bundesarbeitsgerichts – seinen Urlaub aufgrund von länger bestehender Krankheit nicht nehmen konnte. Dann kann der Urlaub auf das nächste Kalenderjahr übertragen werden, unter Umständen auch auf das übernächste Jahr. Auf den Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX sind die Vorschriften über Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs anzuwenden. Es liegt eine Akzessorietät vor.

Der Arbeitgeber berief sich jedoch darauf, dass zunächst nur die gesetzlichen und durch die Rechtsprechung stark abgesicherten Urlaubsansprüche erfüllt wurden. Nicht jedoch sollten damit die darüberhinausgehenden tarifvertraglichen Urlaubsansprüche erfüllt werden. Für diese gelten nicht die Absicherungen zum gesetzlichen Mindesturlaub, weswegen insoweit auch kein Urlaubsabgeltungsanspruch mehr geltend gemacht werden konnte. Den Vorrang der gesetzlichen Urlaubsansprüche, begründet das Bundesarbeitsgericht mit einem Verweis auf das Sozialrecht der Europäischen Union und mit der Unabdingbarkeit aus § 13 BUrlG.

Bei weiteren Fragen zu Urlaubsansprüchen, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Autor: Fachanwalt Torsten Klose

Anwalt für Arbeitsrecht in München

Anwalt für Verkehrsrecht in München

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