Auflösungsantrag im Arbeitsrecht – Chancen & Risiken im Prozess vor dem Arbeitsgericht

Auflösungsantrag gemäß § 9 KSchG im Arbeitsrecht – Chancen und Risiken im Kündigungsschutzverfahren

Einführung: Wenn ein Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage gewinnt, müsste er eigentlich an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. In der Praxis ist dies jedoch nicht immer sinnvoll oder gewollt – weder aus Arbeitnehmersicht noch aus Arbeitgebersicht. Im Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht kann daher sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer einen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) stellen. Ein solcher Antrag zielt darauf ab, das Arbeitsverhältnis trotz unwirksamer Kündigung gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) versteht sich jedoch primär als Bestandsschutzgesetz und nicht als Abfindungsgesetz, weshalb eine gerichtliche Auflösung nur ausnahmsweise zulässig ist. Im Folgenden beleuchten wir die rechtlichen Grundlagen, typische Situationen sowie Chancen und Risiken eines Auflösungsantrags – aus Sicht von Arbeitnehmer und Arbeitgeber, insbesondere bei verhärteten Fronten im Kündigungsschutzverfahren.

Rechtliche Grundlagen des Auflösungsantrags (§§ 9, 10 KSchG – Kündigungsschutzgesetz)

Was regelt § 9 KSchG? Stellt das Arbeitsgericht fest, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist und damit das Arbeitsverhältnis nicht wirksam beendet hat, kann es auf Antrag eines Beteiligten das Arbeitsverhältnis durch Urteil auflösen. Voraussetzung ist, dass dem Antragsteller die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar geworden ist. Für Arbeitnehmer bedeutet das, dass ihm die Weiterbeschäftigung beim kündigenden Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann; für Arbeitgeber bedeutet es, dass Gründe vorliegen müssen, die eine weitere „den Betriebszwecken dienliche“ Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. In beiden Fällen tritt an die Stelle der Weiterbeschäftigung eine angemessene Abfindung als Entschädigung.

Sozialwidrigkeit der Kündigung als Voraussetzung: Ein Auflösungsantrag ist nur zulässig, wenn die Kündigung sozial ungerechtfertigt im Sinne des KSchG ist. Liegt hingegen ein triftiger Kündigungsgrund vor und scheiterte die Kündigung nur an Formalien, muss das Gericht den Auflösungsantrag ablehnen. Der Gesetzgeber will verhindern, dass der Arbeitgeber trotz eigentlich gerechtfertigter Kündigung lediglich wegen eines Formfehlers eine „zweite Chance“ erhält, sich durch Zahlung einer Abfindung vom Arbeitnehmer zu trennen. Der Normalfall des Kündigungsschutzes ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, nicht die Abfindung.

Wer kann den Antrag stellen und wann? Beide Seiten – Arbeitnehmer und Arbeitgeber – können den Auflösungsantrag stellen. Er muss spätestens bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der jeweiligen Instanz gestellt werden. Das heißt, auch im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht kann noch ein Auflösungsantrag nachgereicht (oder zurückgenommen) werden. Wichtig: Für Arbeitgeber gelten strengere Maßstäbe als für Arbeitnehmer. Schließlich hat der Arbeitgeber den Kündigungsprozess verloren, da seine Kündigungsgründe nicht ausreichten. Das Gesetz will ihm daher nicht durch die Hintertür ermöglichen, sich trotzdem ohne Weiteres vom Arbeitnehmer zu trennen. Die Anforderungen an einen Arbeitgeber-Auflösungsantrag sind in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) daher sehr hoch.

Ordentliche vs. außerordentliche Kündigung: Zu beachten ist, dass ein Arbeitgeber den Auflösungsantrag nur bei einer sozialwidrigen ordentlichen Kündigung stellen kann. Bei einer außerordentlichen (fristlosen) Kündigung hat allein der Arbeitnehmer dieses Recht. Hintergrund: Wird eine fristlose Kündigung vom Gericht für unwirksam erklärt, kann der Arbeitnehmer dennoch eine Auflösung gegen Abfindung beantragen, falls ihm eine Rückkehr nicht zumutbar erscheint. Der Arbeitgeber hingegen darf in solchen Fällen keine gerichtliche Auflösung erzwingen.

Sonderfall „leitende Angestellte“: Für leitende Angestellte (z. B. Prokuristen oder Betriebsleiter) sieht das KSchG in § 14 Abs. 2 eine Besonderheit vor. Hier kann der Arbeitgeber den Auflösungsantrag ohne besonderen Auflösungsgrund stellen, da schon die erhebliche Störung des Vertrauensverhältnisses durch den Kündigungsschutzprozess als ausreichend gilt. Mit anderen Worten: Gegen Zahlung der Abfindung kann sich der Arbeitgeber jederzeit von einem leitenden Angestellten trennen.

Taktische Erwägungen: Wann lohnt sich ein Auflösungsantrag?

Aus Sicht des Arbeitnehmers: Ein Auflösungsantrag kann sinnvoll sein, wenn der Arbeitnehmer auf keinen Fall an den alten Arbeitsplatz zurückkehren möchte – etwa weil das Vertrauen vollständig zerstört ist oder die Arbeitsbedingungen unerträglich geworden sind. Der gerichtliche Auflösungsantrag ist gewissermaßen das gesetzliche Gegenstück zur gütlichen Einigung, falls keine freiwillige Lösung erzielt wird.

Aus Sicht des Arbeitgebers: Taktisch kommt ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers in Betracht, wenn dieser den verlorenen Kündigungsschutzprozess nicht mit der Wiedereinstellung enden lassen will. Gerade wenn das Vertrauensverhältnis gravierend gestört ist oder der Arbeitnehmer sich als Störfaktor im Betrieb erwiesen hat, will der Arbeitgeber häufig eine Weiterbeschäftigung um jeden Preis vermeiden. Durch den Auflösungsantrag kann er eine endgültige Trennung herbeiführen – allerdings um den Preis einer Abfindungszahlung.

Risiken und Konsequenzen eines Auflösungsantrags

Risiken für Arbeitnehmer: Wird der Antrag gestellt, signalisiert der Arbeitnehmer, dass er das Arbeitsverhältnis beenden möchte. Fehlt es an einem wichtigen Grund, lehnt das Gericht den Auflösungsantrag ab – das Arbeitsverhältnis besteht dann fort. Der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung. Hinzu kommt das finanzielle Risiko, dass die zugesprochene Abfindung möglicherweise geringer ausfällt als erwartet.

Risiken für Arbeitgeber: Für den Arbeitgeber ist der Auflösungsantrag eine rechtliche „Notbremse“, die aber teuer und nicht garantiert erfolgreich ist. Kann der Arbeitgeber das Gericht nicht überzeugen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als den Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen. Ein abgelehnter Auflösungsantrag bedeutet also: Der ungewollte Mitarbeiter kehrt zurück. Hinzu kommt die mögliche Nachzahlung von Lohn bis zur Auflösung sowie die Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung in erheblicher Höhe.

Abfindung bei Auflösungsantrag – Höhe und Berechnung nach § 10 KSchG

  • Bis zu 12 Monatsgehälter (Regel)
  • Faustformel: 0,5 Monatsgehalt × Beschäftigungsjahre
  • Erhöhte Grenzen: Bis zu 15 oder 18 Monatsgehälter bei älteren Arbeitnehmern mit langer Betriebszugehörigkeit

Typische Konstellationen

  • Schwer gestörtes Vertrauensverhältnis
  • Mobbing, Diskriminierung, Ehrverletzung
  • Konflikte während des Prozesses
  • Zerstrittene Belegschaften

Auflösungsantrag aus Sicht des Arbeitnehmers

Chance auf geordneten Ausstieg mit Abfindung. Wichtig: gute Vorbereitung, klare Unzumutbarkeit belegen, Prozessrisiken kennen und nicht überhastet handeln.

Auflösungsantrag aus Sicht des Arbeitgebers

Strategisches Mittel zur Trennung bei nicht durchsetzbarer Kündigung. Aber: hohe Anforderungen, Kostenrisiko, Imageschaden möglich.

Empfehlung bei verhärteten Fronten

  • Frühzeitig Alternativen prüfen
  • Auflösungsantrag als Verhandlungsmittel nutzen
  • Juristische Beratung einholen – am besten vom Fachanwalt für Arbeitsrecht

Fazit

Der Auflösungsantrag nach § 9 KSchG ist ein starkes Instrument bei unzumutbarer Weiterbeschäftigung – für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber. Er sollte gut vorbereitet, realistisch eingeschätzt und stets mit anwaltlicher Beratung verfolgt werden.

Quellen (Auswahl):

  • Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.10.1999 – 2 AZR 676/98
  • BAG, Urteil vom 23.06.2009 – 2 AZR 103/08
  • BVerfG, Beschluss vom 21.03.1990 – 1 BvR 42/87
  • § 9, § 10, § 14 KSchG
  • ErfK/Kiel § 9 KSchG
  • HWK/Düwell § 9 KSchG
  • APS/Koch § 9 KSchG

Ihr Fachanwalt für Arbeitsrecht – Torsten Klose

Rechtsanwalt seit 2005. Fachanwalt für Arbeitsrecht mit langjährigen Erfahrungen auch im Verkehrsrecht. Unzählige gewonnene Verfahren. Über 250 5-Sterne Bewertungen seiner Mandanten.

Im Herzen von München ist Torsten Klose als Anwalt für Arbeitsrecht und Verkehrsrecht für Sie da.

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