Der Aufhebungsvertrag und das Gebot des fairen Verhandelns
Mit einem Aufhebungsvertrag können sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer schnell, einfach und ohne "Keilerei" trennen. Das Ziel ist Rechtssicherheit hinsichtlich der Rahmenbedingunen wie z.B. restliche Zahlungen, Zeitpunkt des Ausscheidens und eine Freistellung etc.
Ein Aufhebungsvertrag anstelle einer (außerordentlichen oder ordentlichen) Kündigung ist für einen Arbeitgeber aufgrund der weitergehenden Rechtssicherheit oft erstrebenswert. Vermehrt wird daher versucht, einem Arbeitnehmer, von dem man sich gerne trennen möchte, die Unterzeichnung eines solchen Aufhebungsvertrags nahezulegen. Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten.
Im Extremfall ist der Aufhebungsvertrag das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist
Neben den üblichen Unwirksamkeitsgründen eines Aufhebungsvertrags (z.B. Anfechtung, AGB-Kontrolle, vorübergehende Störung der Geschäftsfähigkeit) kommt zusätzlich eine Unwirksamkeit auf der Grundlage von §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II, 249 I BGB als Schadensersatzanspruch im Wege der Naturalrestitution wegen Missachtung des bei Vertragsverhandlungen zu beachtenden Gebots des fairen Verhandelns in Betracht.
Grundsatz – Gebot des fairen Verhandelns
Im Rahmen der Verhandlung vor dem Zustandekommen des Aufhebungsvertrags hat der Arbeitgeber im Rahmen seiner vertraglichen Rücksichtnahmepflicht aus § 241 II BGB das sogenannte Gebot des fairen Verhandelns zu beachten.
Hierbei hat er insbesondere das Ausnutzen oder Schaffen einer psychischen Drucksituation, die eine freie und überlegte Entscheidung erheblich erschwert oder unmöglich macht, zu vermeiden. Als Beispiel für solche Fälle benennt das BAG (Bundesarbeitsgericht) „besonders unangenehme Rahmenbedingungen“ bei der Verhandlung eines Aufhebungsvertrags, „die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken“. Denkbar ist laut BAG ferner „die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse“. Die Nutzung eines Überraschungsmoments kann ebenfalls die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen (Überrumpelung).
Wird vor dem Arbeitsgericht später über die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags gestritten, handelt es sich immer um eine sogenannte Einzelfallentscheidung. Das Arbeitsgericht wird immer die konkrete Situation des Vertragsschlusses im jeweiligen Einzelfall anhand des Maßstabs der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 II BGB bewerten.
Hieraus ergibt sich auch, dass – wie im folgenden Fall – das Erzeugen von Druck im Rahmen von Vertragsverhandlungen auch unter Berücksichtigung des Gebots des fairen Verhandelns zulässig sein kann. Denn es geht bei dem Gebot nicht um das Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses.
Merke: Das Gebot fairen Verhandelns bedeutet nicht "Kuschelkurs und auf Rosen gebettet" - es bedeutet nur, dass keine Zwangssituation entstehen darf, in welcher der andere Vertragsteil (in der Regel der Arbeitnehmer) in eine (psychische) Zwangslage gerät und diese seinen Entschluss, einen Aufhebungsvertrag zu schließen, beeinflussen kann.
Beispiel: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.02.2022, Aktenzeichen
Wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt aber überzeugend entschieden hat, führt nicht jede Drucksituation zu einem Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns:
Der Fall:
Die Parteien stritten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags.
Der Klägerin (Arbeitnehmerin) wurde vorgeworfen, in der Vergangenheit unberechtigt Einkaufspreise für Waren in der EDV der Beklagten (Arbeitgeberin) reduziert zu haben, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Am 22.11.2019 wurde sie zu einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten sowie deren Anwältin gebeten. Der Klägerin wurde zuvor nicht mitgeteilt, dass dieser Vorwurf Gegenstand des Gesprächs sein würde.
Im Rahmen des Gesprächs legte die Anwältin der Beklagten der Klägerin einen vorbereiteten Aufhebungsvertrag vor, der ein einvernehmliches Ausscheiden der Klägerin vorsah. Nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei Anwesenden schweigend am Tisch saßen, unterzeichnete die Klägerin den Aufhebungsvertrag. Die weiteren Einzelheiten des Gesprächs bleiben streitig. Die Klägerin trägt vor, dass ihr für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige angedroht worden seien. Ihrer Bitte um eine längere Bedenkzeit und die Möglichkeit, Rechtsrat einholen zu können, habe die Beklagte nicht entsprochen. Vielmehr habe die Anwältin der Beklagten erklärt, dass, wenn sie durch die Tür gehe, selbst wenn sie nur die Toilette aufsuchen wolle, der Abschluss des Aufhebungsvertrags nicht mehr in Betracht komme.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:
Das BAG entschied, dass der Aufhebungsvertrag wirksam sei.
Es komme weder eine Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung (§§ 123 I Alt. 2, 142 BGB) noch eine Unwirksamkeit wegen eines Verstoßes gegen das Gebot des fairen Verhandelns in Betracht.
Es lag zunächst keine widerrechtliche Drohung vor. Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist nach ständiger Rechtsprechung des BAG (nur) dann widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Ebenso ist mit der Drohung einer Strafanzeige zu verfahren. Diese Grundsätze gelten auch – so hat es der BAG in diesem Urteil nun festgestellt – wenn der Arbeitgeber sich bereits bei Ausspruch der Drohung rechtsanwaltlich beraten lässt oder die Drohung gar von einem Rechtsanwalt ausgesprochen wird. Wichtig ist jedoch, dass es nicht notwendig ist, dass die angedrohte Kündigung, wenn sie tatsächlich vorgenommen worden wäre, nach der objektiven Rechtslage wirksam gewesen wäre. Vielmehr muss sie lediglich objektiv gesehen von einem verständigen Arbeitgeber ernsthaft in Betracht gezogen werden können. Da ein verständiger Arbeitgeber sowohl eine außerordentliche Kündigung als auch eine Strafanzeige bei der vorgeworfenen schwerwiegenden Pflichtverletzung der Klägerin ernsthaft in Betracht ziehen durfte, lag keine widerrechtliche Drohung vor.
Ein Arbeitgeber verletzt seine Pflicht zum fairen Verhandeln nicht, wenn er sein Aufhebungsvertragsangebot nur zur sofortigen Annahme unterbreitet und der Arbeitnehmer deshalb sofort entscheiden muss. Denn der Arbeitnehmer bleibt weiterhin „Herr“ seiner Entscheidung. Er kann das Angebot ablehnen und die „Drucksituation“ mit einem bloßen Nein beenden. Darüber hinaus entspricht ein Angebot, welches nur im „Hier und Jetzt“ anzunehmen ist, dem gesetzlichen Leitbild des § 147 I S. 1 BGB, wonach Angebote unter Anwesenden grundsätzlich nur sofort angenommen werden können. Auch spielt die Drohung mit der außerordentlichen Kündigung und der Strafanzeige im Rahmen des fairen Verhandelns keine Rolle, denn das Gericht entschied, dass, was bereits keine Drohung im Sinne des § 123 I BGB ist, von der Rechtsordnung als zulässig angesehen wird und somit auch im Rahmen eines fairen Verhandelns zulässig ist.
Fazit:
Der Grundsatz des fairen Verhandelns schützt Arbeitnehmer vor unfairen und übermäßigen Drucksituationen während der Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag.
Das Urteil des BAG zeigt jedoch, dass nicht jede Drucksituation automatisch zu einem Verstoß gegen dieses Gebot führt. Solange die Androhung einer außerordentlichen Kündigung und einer Strafanzeige von einem verständigen Arbeitgeber ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann und keine widerrechtliche Drohung vorliegt, bleibt der Aufhebungsvertrag wirksam.
Zudem ist es dem Arbeitgeber erlaubt, ein sofort anzunehmendes Angebot zu unterbreiten, solange der Arbeitnehmer die Freiheit hat, das Angebot abzulehnen. Es kann daher nicht geraten werden, grundsätzlich zu unterzeichnen und dann sich auf die gerichtliche Kontrolle des Aufhebungsvertrags zu verlassen. Vielmehr sollte man in einer solchen Situation aufmerksam den Aufhebungsvertrag lesen und aushandeln um dann – im Falle des Unterzeichnens – eine Vertragsreue zu vermeiden.
Wenn Sie als Arbeitgeber einem Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag anbieten wollen (oder müssen) oder Ihnen als Arbeitnehmer von seiten Ihres Arbeitgebers ein Aufhebungsvertrag angeboten wird, ist es ratsam, sich von einem arbeitsrechtlich kompetenten Rechtsanwalt beraten zu lassen. Neuere Rechtsschutztarife decken die Kosten hierfür häufig ab.