Februar 22, 2022

Annahmeverzugslohn & Auskunftsanspruch

Muss der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess Auskunft über Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit erteilen?

BAG, Urteil vom 27.05.2020, 5 AZR 387/19

Neue Verteidigungsmöglichkeit für Arbeitgeber im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses

Ausgangssituation:

Setzt sich ein Arbeitnehmer gegen eine ausgesprochene Kündigung zur Wehr wird sich der Prozess über Monate oder sogar Jahre hinziehen. Sollte der Arbeitgeber in letzter Instanz verlieren steht die Unwirksamkeit der Kündigung fest.

Das führt dazu, dass der Arbeitgeber aufgrund § 11 Kündigungsschutzgesetz dem Arbeitnehmer eine Nachzahlung zukommen lassen muss und zwar die seit dem Ablauf der Kündigungsfrist entstandenen Vergütungsansprüche samt etwaiger Verzugszinsen. Das kann schnell zu einer sehr hohen Summe führen.

Der Arbeitnehmer ist aber nicht zur Nachleistung verpflichtet, § 615 S. 1 BGB.

Die lange Prozessdauer samt dem erheblichen und stetig wachsenden Kostenrisiko sind der Grund, warum Arbeitgeber sich vor Gericht oft auf teure Vergleichsvereinbarung einlassen.

Oftmals übersehen Arbeitgeber dabei, dass Annahmeverzugslohnforderungen des Arbeitnehmers aufgrund der gesetzlichen Anrechnungsvorschriften wegen anderweitigen Erwerbs bzw. böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs gar nicht immer bestehen müssen.

Denn um die Prozessrisiken zu begrenzen und um zu verhüten, dass Arbeitnehmer finanzielle Vorteile auf Kosten der Arbeitgeber erhalten, sehen § 615 S. 2 BGB bzw. § 11 KSchG eine Anrechnung anderweitiger Einkünfte vor.

Arbeitnehmer müssen sich dasjenige anrechnen lassen, was sie durch anderweitige Verwendung ihrer Arbeitskraft erwerben oder zu erwerben böswillig unterlassen.

Letztere Anrechnungsmöglichkeit hat das Bundesarbeitsgericht nunmehr erheblich zugunsten der Arbeitgeber vereinfacht.

Bei einem böswilligen Unterlassen, sehen die gesetzlichen Regelungen also durchaus vor, dass sich der Arbeitnehmer auch das anrechnen lassen muss, was er hätte verdienen können.

Allerdings muss der Arbeitgeber beweisen, dass der Arbeitnehmer zumutbaren Zwischenverdienst böswillig unterlassen hat

Bisher war es für den Arbeitgeber faktisch nicht möglich nachzuweisen, dass ein Arbeitnehmer es böswillig unterlassen hat, eine andere Beschäftigung einzugehen. Der Grund hierfür war, dass dem Arbeitgeber schlicht nicht bekannt war, ob und welche Jobangebote der Arbeitnehmer während eines laufenden Kündigungsprozesses möglicherweise erhalten hat.

Ein Auskunftsanspruch des Arbeitgebers gegen die Agentur für Arbeit, ob dem Arbeitnehmer Vermittlungsvorschläge gemacht wurden verbietet das Sozialgeheimnis, § 35 SGB I.

Nach der neuen Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19) hat der Arbeitgeber jedoch gegen den Arbeitnehmer einen Auskunftsanspruch über Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit.

Konkret bedeutet das, dass der Arbeitnehmer inhaltlich Auskunft über die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und des Jobcenters unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung erteilen muss.

Achtung Arbeitgeber:

Alleine, dass Sie dem Arbeitnehmer Informationen über Vermittlungsvorschläge bzw. Stellenangebote zukommen lassen, beweist nicht, dass der Arbeitnehmer böswillig anderweitige zumutbare Arbeit unterlassen hätte.

Vielmehr spielt Ihnen als Arbeitgeber, wie das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27.05.2020 zeigt, die sog. abgestufte Darlegungs- und Beweislast in die Hände:

Trägt der Arbeitgeber Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und ein mögliches böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs vor, obliegt es dem Arbeitnehmer, dem entgegenzutreten.

Solche Indizien können sich bereits aus den vom Arbeitgeber übermittelten Vermittlungsvorschlägen bzw. aus den jeweiligen Arbeitsbedingungen der vorgeschlagenen Stellen ergeben, wenn der Arbeitnehmer sich hierauf nicht einmal oder nicht ernsthaft beworben hat.

Der Arbeitgeber kann mit der Stellenanzeige relativ leicht aufzeigen, dass die Stelle frei und die Arbeitsbedingungen zumutbar waren.

Sollte der Arbeitnehmer sich auf solche Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit oder des Arbeitgebers nicht einmal bewerben, setzt er sich schnell dem Vorwurf der Böswilligkeit aus.

Hat sich dagegen der Arbeitnehmer beworben, muss er darlegen, weshalb es nicht zum Vertragsschluss gekommen ist bzw. ein solcher für ihn unzumutbar war.

Der Arbeitnehmer darf nicht vorsätzlich verhindern, dass er eingestellt wird.

Eine Unzumutbarkeit ist nur im Einzelfall feststellbar und kann ihren Grund in der Person des neuen Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben (BAG, Urteil vom 22. März 2017 – 5 AZR 337/16).

Auch vertragliche Umstände, insbesondere die Vergütung, die Arbeitszeit, der Anfall von Überstunden, die Gefährlichkeit der Arbeit oder der Arbeitsort, sind zu berücksichtigen. Jedoch führen alleine eine niedrige Vergütung oder eine größere räumliche Distanz nicht zu einer Unzumutbarkeit.

Sollte der Arbeitnehmer im Prozess vortragen, dass er sich zwar beworben hat, aber nicht eingestellt worden sei, ist es zudem möglich, dass er auch seine Bewerbungsunterlagen vorlegen muss.

Tipp für Sie als Arbeitgeber

Sie sollten spätestens nach Ablauf der Kündigungsfrist fortlaufend Auskunft über Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit von dem gekündigten Arbeitnehmer erfragen. Sie als Arbeitgeber können dadurch den Arbeitnehmer in „Zugzwang“ versetzen, Bewerbungen zu veranlassen (BAG, Urteil vom 16. Mai 2000 – 9 AZR 203/99).

Während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses sollten Sie den Arbeitsmarkt im Auge behalten und für Ihren gekündigten Mitarbeiter geeignete Stellenangebote in seiner Nähe heraussuchen und weiterleiten lassen.

Zudem sollten Sie diese Stellenangebote und Weiterleitungsdaten hinreichend dokumentieren.

Erteilen Sie dem Arbeitnehmer ein qualifiziertes Zwischenzeugnis für seine Bewerbungsunterlagen.

Sollte der Arbeitnehmer Ihrem Auskunftsersuchen nicht nachkommen, können Sie als Arbeitgeber im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses in Form einer (Hilfs-)Widerklage auf Auskunft klagen.

Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es genauso möglich, die Auskunft im Prozess als Ausprägung der Darlegungslast zu integrieren.

Gleichzeitig wird der Arbeitnehmer nun verpflichtet, sich unverzüglich nach der Kenntnis des Beendigungszeitpunktes des Arbeitsverhältnisses persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden (vgl. § 38 Abs. 1 SGB III) und erhält so zusätzlich behördliche Vermittlungsangebote.

Zudem können sozialversicherungsrechtliche Wertungen bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Böswilligkeit“ des Unterlassens herangezogen werden.

Gerne beraten wir Sie hierzu ausführlich.

Achtung Arbeitnehmer:

Das Bundesarbeitsgericht hält seit dieser Entscheidung die Arbeitnehmer wegen § 2 Abs. 5 SGB III zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung der Arbeitslosigkeit an.

Gelingt es Ihnen als Arbeitnehmer nicht darzulegen, dass sie sich auf die Ihnen angebotenen Stellen beworben haben bzw. diese für sie unzumutbar gewesen wären, riskieren sie eine Anrechnung der hypothetischen Verdienste. Dies kann zu einem hohen Abzug Ihrer Nachzahlung führen.

Sie dürfen sich also anders als bisher als Arbeitnehmer, während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses nicht passiv verhalten und es unterlassen eigene Anstrengungen zu unternehmen, um eine Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber zu finden. Zudem müssen Sie sich nun bei der Agentur für Arbeit als Arbeitssuchender melden.

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