August 17, 2021

Kündigung einer Schwangeren vor Tätigkeitsaufnahme unwirksam

Kündigung während der Schwangerschaft auch vor Tätigkeitsaufnahme unwirksam

Eine Schwangerschaft kann das Leben schlagartig verändern. Das gilt umso mehr, wenn eine Frau aufgrund der Schwangerschaft nicht mehr arbeiten darf. Die schwangere Arbeitnehmerin muss ihren Alltag völlig neu organisieren und hat womöglich mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen; und Arbeitgeber*innen müssen von einem auf den anderen Tag auf die Arbeitskraft der Angestellten verzichten. Durch das Mutterschutzgesetz sind werdende Mütter in diesen Fällen vor einer Kündigung geschützt. Im Fall einer schwangeren Rechtsanwaltsfachangestellten wurde vor einigen Jahren entschieden, dass der besondere Kündigungsschutz des § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG auch dann gilt, wenn die Arbeitnehmerin ihr Tätigkeit nach Vertragsabschluss noch nicht aufgenommen hat.

Beispiel aus der Praxis für die

Kündigung während der Schwangerschaft auch vor Tätigkeitsaufnahme

Im Januar 2018 erhielt eine schwangere Frau eine Kündigung, nachdem sie ihren Arbeitgeber über ein komplettes Beschäftigungsverbot aufgrund einer Vorerkrankung informiert hatte. Den unbefristeten Arbeitsvertrag über ein Beschäftigungsverhältnis als Rechtsanwaltsfachangestellte hatten die beiden Parteien erst kurz zuvor geschlossen. Am 01. Februar 2018 hätte die Frau laut Vertrag ihre Tätigkeit aufnehmen sollen. Der Vertrag legte aber auch fest, dass sie schon in der Zeit vom 27. bis zum 29. Dezember 2017 für eine tägliche Arbeitszeit von mindestens fünf Stunden auf Abruf zur Verfügung stehen sollte. Die Schwangere legte im Rahmen der gesetzlichen Frist Klage auf Unwirksamkeit der Kündigung beim hessischen Landesarbeitsgericht ein. Der Arbeitgeber beantragte daraufhin, die Klage abzuweisen, weil die Klägerin ihre Tätigkeit noch gar nicht aufgenommen habe. Das Arbeitsgericht hat der Klägerin rechtgegeben. Das Bundearbeitsgericht bestätigte das Urteil am 27. Februar 2019 (2 AZR 498/19).

§ 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG schützt vor einer Kündigung während der Schwangerschaft

Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses während der Schwangerschaft kann für Frauen zu großen finanziellen und psychischen Belastungen führen. Um einer solchen Notlage vorzubeugen, gewährt der Gesetzgeber Schwangeren durch das Mutterschutzgesetz einen besonderen Kündigungsschutz. Laut § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau unter den folgenden Umständen unzulässig:

  • während einer Schwangerschaft
  • bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche
  • und bis zum Ende der Schutzfrist, mindestens jedoch bis zum Ablauf von vier Monaten vor einer Kündigung durch den oder die Arbeitgeber*in.

Voraussetzung für die Unwirksamkeit der Kündigung ist, dass die Arbeitgeber*innen zum Kündigungszeitpunkt von der Schwangerschaft oder der Fehlgeburt wissen oder spätestens zwei Wochen nach Zugang der Kündigung darüber informiert werden.

§ 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG sagt nicht eindeutig, ab wann Kündigungsverbot besteht

Salopp ausgedrückt gilt also grundsätzlich: Schwangeren Arbeitnehmerinnen darf nicht gekündigt werden, wenn der oder die Arbeitgeber*in Kenntnis von der Schwangerschaft hat. Aber wie verhält es sich, wenn die schwangere Frau wie im Praxisbeispiel eine Kündigung erhält, bevor sie ihre nach Arbeitsvertrag festgelegte Tätigkeit überhaupt aufgenommen hat? In dieser Hinsicht ist der Gesetzeswortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG nicht eindeutig. Tatsächlich sagt der Paragraph überhaupt nichts darüber aus, wie das Rechtsverhältnis oder der Vertrag zwischen den Parteien gestaltet sein muss, damit der besondere Kündigungsschutz Anwendung findet.

Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes

Allerdings wird in § 1 Abs. 2 Satz 1 und 2 MuSchG der Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes im Allgemeinen definiert. Dort heißt es unter anderem, dass das Gesetz für Frauen in einer Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (§ 7 Abs. 1 SGB IV) gilt. Geschützt werden also Frauen, die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, leisten. Außerdem soll sich der Kündigungsschutz auch auf Frauen in weiteren Tätigkeitsformen beziehen. Maßgeblich für die Definition des Verhältnisses als Beschäftigung sind dabei eine Tätigkeit nach Vorgaben durch die Arbeitgeber*innen und eine Eingliederung in deren Arbeitsorganisation. Man könnte es also durchaus so verstehen, dass das Kündigungsverbot nur dann besteht, wenn die Frau die durch den Arbeitsvertrag geregelte Tätigkeit schon aufgenommen hat.

Arbeitsverhältnis entsteht mit Abschluss des Arbeitsvertrags

Jedoch zeigt die synonyme Verwendung der Begriffe „Beschäftigung“ und „Beschäftigungsverhältnis“ in § 1 Abs. 2 Satz 1 MuSchG, dass es ausreicht, wenn die rechtliche Beziehung zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen auf eine Beschäftigung im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV ausgerichtet ist. Und eine solche Beziehung im Sinne eines Arbeitsverhältnisses entsteht ganz klar mit Abschluss des Arbeitsvertrags. Das heißt, das Beschäftigungsverhältnis beginnt, sobald Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen den Arbeitsvertrag unterschrieben haben, auch wenn die eigentliche Tätigkeit erst später aufgenommen werden soll. Im Praxisbeispiel wird das auch dadurch verdeutlicht, dass sich die Klägerin zusätzlich verpflichtete, an bestimmten Tagen noch vor der Tätigkeitsaufnahme im Februar auf Abruf zur Verfügung zu stehen.  

Aber Achtung: Je nachdem, welchen Zweck eine Regelung verfolgt, muss trotzdem zwischen dem Beginn der Arbeitsverhältnisses und der tatsächlichen Arbeitsaufnahme unterschieden werden. Für die Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG kommt es aber nur auf den Beginn des Arbeitsverhältnisses an.

Schwangere Frauen müssen auch vor der Tätigkeitsaufnahme geschützt sein

Die Aufnahme der Tätigkeit ist demnach nicht notwendig, damit ein Kündigungsverbot besteht. Das ergibt sich allein auch aus dem Zweck des § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG. Mit dem Mutterschutzgesetz sollen die Gesundheit und Existenz von Frauen und ihren (ungeborenen) Kindern gesichert werden. Sowohl die (mentale) Gesundheit als auch die finanzielle Stabilität sind durch eine Kündigung vor der Tätigkeitsaufnahme aber natürlich genauso gefährdet wie während der aktiven Arbeit am Arbeitsplatz. Das gilt umso mehr, wenn die Schwangere womöglich aufgrund von Vorerkrankungen ein Beschäftigungsverbot erhält. Außerdem soll das Mutterschutzgesetz Frauen auch die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses in der Zeit nach Schwangerschaft und Geburt ermöglichen, was bei einer wirksamen Kündigung vor der Tätigkeitsaufnahme auch nicht gewährleistet wäre.

Fazit: Kündigung während der Schwangerschaft ist auch vor Tätigkeitsaufnahme unwirksam

Eine arbeitgeberseitige Kündigung gegenüber einer Frau ist während einer Schwangerschaft und der damit in Zusammenhang stehenden Schutzzeiten in fast allen Fällen unzulässig. Das wurde durch das beschriebene Urteil des Bundesarbeitsgerichts wiederum bestätigt. Voraussetzung für die Unwirksamkeit der Kündigung ist unter anderem die Kenntnis der Arbeitgeber*innen über die Schwangerschaft. Die tatsächliche Aufnahme der Tätigkeit muss dagegen noch nicht erfolgt sein. Der Kündigungsschutz des § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG gilt für alle Frauen in einem Arbeitsverhältnis, welches bereits mit dem Vertragsschluss beginnt.

Sollte Ihnen trotz Schwangerschaft eine Kündigung zugegangen sein, kontaktieren Sie uns unbedingt zeitnah, denn es sind wichtige Fristen einzuhalten. Als erfahrene Anwälte für Arbeitsrecht können wir Sie in allen Fragen rund um den gesetzlichen Mutterschutz beraten und vertreten.

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