Die vorherrschende Pandemie bringt so einige Unklarheiten und Unsicherheiten mit sich. Wenn Ihr Arbeitgeber, zum Beispiel ein Friseursalon oder eine Bar, aufgrund behördlicher Anordnung schließen musste – wer trägt dann das Risiko des Arbeitsausfalls? Sie oder Ihr Arbeitgeber? Oder ein Dritter? Und was bedeutet das für Sie? Erhalten Sie trotz zwingender angeordneter Schließung weiterhin Ihren Lohn oder nicht?
Ihre Anwälte für Arbeitsrecht helfen Ihnen weiter. Hierzu ein kurzer Überblick:
Zunächst einmal gilt im Arbeitsrecht der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Dies bedeutet, dass Ihr Arbeitgeber Sie nur dann vergüten muss, wenn Sie auch tatsächlich gearbeitet haben. Natürlich gibt es hiervon auch zahlreiche Ausnahmen, wie z.B., wenn Sie Urlaub beantragt und gewährt bekommen haben, oder bis zu einer Dauer von sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt sind.
Zu diesen Ausnahmen zählt weiter auch das sogenannte Betriebs- oder Wirtschaftsrisiko, welches in § 615 Satz 3 BGB verankert ist. § 615 Satz 3 BGB besagt, dass ein Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung auch dann verlangen kann, wenn grundsätzlich eine Arbeitspflicht besteht und die Arbeit aufgrund von Umständen ausfällt, für die der Arbeitgeber das Risiko trägt.
Dabei handelt es sich um das Risiko des Arbeitgebers, seinen Betrieb überhaupt betreiben zu können. Die Ursachen hierfür können in betrieblich-technischen Gegebenheiten (z.B. Stromausfall, Ausfall einer Maschine, Brand, Überschwemmung, Vulkanausbruch, ähnliche Naturkatastrophen etc.), in rechtlichen Gründen (z.B. Versagung oder Entzug einer öffentlich-rechtlich erforderlichen Betriebserlaubnis etc.) oder wirtschaftlichen Gegebenheiten (Ausbleiben von Vorprodukten, Absatzstockungen, Lieferengpässe etc.) liegen. In den beiden erstgenannten Fällen spricht man von Betriebs-, im letztgenannten Fall von Wirtschaftsrisiko.
1963: behördliche Schließung unterliegt dem Betriebsrisiko
Das Bundesarbeitsgericht, kurz BAG, hat bereits mit Urteil vom 30. Mai 1963 (Az.: 5 AZR 282/62) entschieden, dass „der Leiter einer von einem Tanz- und Unterhaltungsunternehmen engagierten Tanz- und Schaukapelle mangels anderweiter einzelvertraglicher oder tariflicher Vereinbarung nach den Grundsätzen über die Tragung des Betriebsrisikos auch dann Anspruch auf Fortzahlung des vereinbarten Entgelts, wenn die Kapelle aus Anlaß eines Brandunglücks infolge eines behördlichen Verbots von öffentlichen Lustbarkeiten vorübergehend nicht auftreten kann.“
Dem Fall lag ein Brandunglück in der Stadt Nürnberg zugrunde, bei welchem 22 Menschen ums Leben kamen. Hierauf folgte für die Zeit vom 17.01.1962 bis zum 20.01.1962 ein behördliches Verbot u.a. von öffentlichen Tanzveranstaltungen und anderen öffentlichen Vergnügungen.
Der Arbeitgeber, ein Betreiber eines Tanzlokals, welcher offensichtlich nichts für den Brand und auch nichts für das behördliche Verbot konnte, musste sein Lokal für 4 Tage geschlossen halten und kürzte dem Leiter der Tanzkapelle anteilig den Lohn, woraufhin dieser Klage erhob.
Aus Sicht des Gerichts ergab sich damals die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung des Lohnes aus dem Umstand, dass ein Tanzlokal bei einer allgemeinen Volkstrauer nach den allgemeinen Erfahrungen und Anschauungen damit rechnen muss, dass das Lokal vorübergehend geschlossen wird.
Nach der damaligen Ansicht des BAG müsse ein Arbeitgeber ein solches Risiko in seine kaufmännischen Berechnungen einkalkulieren, wodurch er den drohenden finanziellen Nachteilen ggf. durch die Bildung von Rücklagen entgegenwirken kann. Mit Rücksicht auf die Existenzsicherung des Arbeitnehmers könne damit auch nicht ein Teil dieses Risikos auf den Arbeitnehmer in Form einer Minderung seiner Einkünfte abgewälzt werden.
Diese Rechtsprechung wurde über Jahre hinweg immer wieder durch das BAG bestätigt, so z.B. mit Urteil vom 09. Juli 2008 (Az.: 5 AZR 810/07).
Das BAG war also über Jahre hinweg der Ansicht, dass ein Arbeitnehmer auch dann seinen Lohn erhält, wenn er nicht arbeiten kann, weil die Arbeit aufgrund eines Umstandes ausfällt, für den möglicherweise auch der Arbeitgeber keine Verantwortung, hingegen aber das Betriebsrisiko, trägt.
2021: behördliche Schließung unterliegt NICHT dem Betriebsrisiko
Fast 60 Jahre später sieht die Welt beim BAG nun anders aus. Geklagt hatte eine geringfügig Beschäftigte Verkäuferin, die in einem Geschäft für Nähmaschinen und Zubehör angestellt war und der der Arbeitgeber während des „Lockdowns“ im April 2020 kein Gehalt zahlte.
Mit Urteil vom 13. Oktober 2021 (Az.: 5 AZR 211/21) entschied das BAG, dass „die im Rahmen eines allgemeinen "Lockdowns" zur Bekämpfung der Corona-Pandemie staatlich verfügte vorübergehende Betriebsschließung kein Fall des vom Arbeitgeber nach § 615 Satz 3 BGB zu tragenden Betriebsrisikos ist.“
Begründet hat das das BAG nun damit, dass die Betriebsschließung im Rahmen allgemeiner Maßnahmen staatlicher Stellen zur Pandemiebekämpfung, mit denen betriebsübergreifend zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen die sozialen Kontakte auf ein Minimum reduziert und nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden, erfolgte.
In einem solchen Fall, so das BAG, trage der Arbeitgeber nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, da die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage sei.
Aus Sicht des Gerichts realisiere sich in einem solchen Fall gerade nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Risiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung sei vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage, die der einzelne Arbeitgeber nicht - auch nicht im weitesten Sinne - verursacht und zu verantworten habe.
Dieses "allgemeine Risiko", das letztlich Folge politischer Entscheidungen zur Eindämmung des die Allgemeinheit insgesamt treffenden Infektionsrisikos sei, müsse, so das BAG, der Arbeitgeber - bei gebotener wertender Betrachtung - nicht tragen.
Das Fazit dieses Urteils ist somit, dass ein z.B. von der Flutkatastrophe 2021 im Ahrtal durch die vollständige Zerstörung seiner Betriebsanlagen betroffener Arbeitgeber zur Zahlung der Vergütung verpflichtet bleibt, weil er gemäß § 615 Satz 3 BGB das Betriebsrisiko trägt. Hintergrund hierfür ist die schlichte Existenz des Betriebs, wohingegen die Öffnung eines Betriebes für Publikumsverkehr, wie z.B. das Nähgeschäft, wodurch ein erhöhtes Infektionsrisiko begründet wird, kein Anlass für eine Zuweisung des Entgeltrisikos an den Arbeitgeber darstellt.
Wir erachten dieses Urteil des BAG für falsch. Die behördlich verfügte Betriebsschließung ist gerade das Paradebeispiel für das dem Arbeitgeber anhaftende Betriebsrisiko.
2022: Bestätigung der neueren Rechtsprechung durch das BAG?
Auch das LAG Düsseldorf sieht das Thema Betriebsrisiko und COVID 19 offenbar anders als das BAG. So hat es mit Urteil vom 30. März 2021 (Az.: 8 Sa 674/20) entschieden, dass „der Umstand, dass der Beklagten im April 2020 der Betrieb ihrer Spielhallen im Zuge des "Lockdowns" gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 6 CoronaSchVO untersagt war und die Klägerin deshalb nicht beschäftigt werden konnte, gemäß § 615 Satz 3 BGB der betrieblichen Risikosphäre der Beklagten zuzurechnen ist.“
Hier hatte eine Vollzeitbeschäftigte Mitarbeiterin, die in einer Spielhalle beschäftigt war, geklagt, nachdem ihr der Arbeitgeber ebenfalls während des „Lockdowns“ kein Gehalt zahlte.
Das LAG Düsseldorf ist richtigerweise der Ansicht, dass die Anordnung der Betriebsschließung unmittelbar den Arbeitgeber als Betriebsinhaber treffe. Schließlich werde ihm die betriebliche Tätigkeit untersagt, nicht dem Arbeitnehmer das Arbeiten. Nur der Arbeitgeber habe die Möglichkeit, gegen die behördlichen Maßnahmen rechtlich vorzugehen und gegebenenfalls eine Kompensation über öffentlich-rechtliche Entschädigungsansprüche geltend zu machen.
Die Spielhallenbetreiberin hat gegen das Urteil Revision eingelegt (Az.: 5 AZR 366/21, eine Entscheidung wird es voraussichtlich am 4. Mai 2022 geben. Das BAG muss nun also nochmals darüber entscheiden, ob der Arbeitgeber bei behördlich angeordneten Betriebsschließungen aufgrund der Corona Pandemie grundsätzlich das Betriebsrisiko trägt.
Fazit:
Es bleibt abzuwarten, ob das BAG seine Rechtsprechung zum Betriebsrisiko während der Pandemie bestätigt oder nicht.
Jedenfalls muss immer eine Einzelfallbetrachtung vollzogen werden. Kein Fall gleicht dem anderen. Sollte Ihr Arbeitgeber Ihnen den Lohn während einer angeordneten Betriebsschließung nicht bezahlt haben, sollten Sie die Rechtmäßigkeit eines solchen Vorgehens daher gleichwohl von Ihren Anwälten überprüfen lassen.
Daher zögern Sie nicht und kontaktieren uns, Ihre Fachanwälte für Arbeitsrecht aus München.