Rücktritt vom Vertrag nur bei ordnungsgemäßem Nacherfüllungsverlangen
Gerade erst neu gekauft und schon kaputt? Das kann insbesondere bei größeren Anschaffungen sehr frustrierend sein. Die gute Nachricht: Sie sind als Käufer*in durch das Gesetz geschützt und haben in solchen Fällen das Recht, vom Kauf zurückzutreten. Allerdings sind auf dem Weg zu einem erfolgreichen Rücktritt einige Hürden zu überwinden. Welche das sind und was sich seit 2022 im Kaufrecht geändert hat, erklären wir anhand aktueller Urteile des Bundesgerichtshofs.
Das Wichtigste in Kürze: Rücktritt braucht „echtes“ Nacherfüllungsverlangen
Ob Sie vom Recht auf Rücktritt Gebrauch machen können, hängt davon ab, ob ein ordnungsgemäßes Nacherfüllungsverlagen vorliegt. Denn der/die Verkäufer*in hat zunächst das Recht die Mängel an der Kaufsache zu beheben, bevor Sie vom Kaufvertrag zurücktreten können. Ein echtes Nacherfüllungsverlangen ist dann erkennbar, wenn Sie dem/der Verkäufer*in per schriftlicher oder mündlicher Aufforderung eine angemessene Frist zur Nacherfüllung einräumen und ihm/ihr die mangelhafte Sache am Nacherfüllungsort zur Verfügung stellen. Es sei denn, eine Nacherfüllung ist Ihnen aus bestimmten Gründen nicht zumutbar. In diesem Fall ist eine erfolglos gesetzte Frist keine Bedingung für Ihren Rücktritt vom Vertrag.
Gründe für den Rücktritt vom Kaufvertrag
Haben Sie eine Sache gekauft, bedeutet das automatisch, dass Sie mit dem/der Verkäufer*in einen Vertrag geschlossen haben. Das wiederum heißt, dass Sie als Käufer*in unter Umständen Gewährleistungsrechte geltend machen können, sollte die Kaufsache Mängel aufweisen. Allerding sind an einen erfolgreichen Rücktritt bestimmte Bedingungen geknüpft. Entgegen der langläufigen Meinung ist die Möglichkeit zum Rücktritt vom Vertrag, wie übrigens auch zu dessen Widerruf, nicht immer gegeben. Haben Sie einen Kaufvertrag unterschrieben, rechtfertigen nur zwei Gründe einen Rücktritt:
- ein vertragliches Rücktrittsrecht
- die Nichterfüllung der gesetzlichen Pflichten aufseiten des Verkäufers
Haben Käufer*in und Verkäufer*in eine Möglichkeit zum Rücktritt vertraglich vereinbart, hat diese aufgrund der in Deutschland geltenden Vertragsfreiheit Vorrang. Ist eine solche Klausel aber nicht Teil des Kaufvertrags und die Kaufsache ist mangelhaft oder wird nicht zum vereinbarten Zeitpunkt geliefert, greift das Rücktrittsrecht nach §§ 437 Nr. 2, 323 BGB. Diese Paragraphen regeln den gesetzlichen Rücktritt wegen nicht oder nicht ordnungsgemäß erbrachter Leistung.
1. Praxisbeispiel: Sachmängel in der neuen Einbauküche
- Januar 2009: Klägerin bestellt bei einem Küchenstudio (Beklagte) eine Einbauküche zum Preis von 82.913,24 €
- 29. Januar/2. Februar 2009: Ehemann der Klägerin beanstandet gegenüber der Beklagten mehrere Sachmängel der Einbauküche und verlangt laut Klägerin die „unverzügliche“ Beseitigung der gerügten Mängel
- 16. Februar 2009: Klägerin bittet per E-Mail um möglichst schnelle Behebung der genannten und weiterer Mängel
- 11. März 2009: Klägerin führt in einem Schreiben alle ihr bekannten Mängel auf und verlangt, diese bis zum 27. März 2009 zu beheben
- 16. März 2009: Beklagte sagt laut Klägerin telefonisch zu, die Küche bis zum 23. März 2009 „fix und fertig“ zu stellen
- 31. März 2009: Klägerin erklärt Rücktritt vom Vertrag, da Mängel nicht beseitigt worden sind
- Juli 2009: Sachverständiger stellt fest, dass entscheidende Bereiche der Küche nicht oder nicht voll funktionsfähig sind
- Klägerin klagt auf Rückabwicklung des Vertrags sowie Schadensersatz
Am Landesgericht und Oberlandesgericht (OLG) München hat die Klage keinen Erfolg. Das OLG begründet die Entscheidung damit, dass die Klägerin der Beklagten vor dem Rücktritt vom Vertrag eine angemessene First (vier bis sechs Wochen) zur Nachbesserung hätte einräumen müssen. Die Klägerin geht daraufhin in Revision. Der BGH hebt das Berufungsurteil des OLG per Urteil vom 13. Juni 2022 aus und verweist die Sache zur Neuverhandlung zurück. (VIII ZR 49/15)
Keine ausdrückliche Frist zur Nacherfüllung notwendig
Eine Voraussetzung für den Rücktritt ist laut § 323 Abs. 1 BGB die erfolglos gesetzte angemessene Frist zur Nachbesserung. Das heißt, Sie als Käufer*in müssen dem/der Verkäufer*in ausreichend Zeit geben, die Kaufsache zu prüfen und etwaige Mängel zu beheben. Und erst, wenn der/die Verkäufer*in die Mängel innerhalb dieser Frist nicht behoben hat, können Sie vom Kauf zurücktreten. Denn die Nachbesserung hat grundsätzlich Vorrang gegenüber dem Rücktritt. Welche Frist für eine Nachbesserung angemessen ist, muss im Einzelfall entschieden werden. Laut BGH reicht es allerdings aus, wenn Sie dem/der Verkäufer*in gegenüber deutlich machen, dass die Nacherfüllung möglichst bald erfolgen soll, dem/der Verkäufer*in also nur ein begrenzter Zeitraum zur Behebung der Mängel zur Verfügung steht. Es ist nicht nötig, ein konkretes Datum zu nennen. Nennt der/die Verkäufer*in wie im 1. Praxisbeispiel selbst eine Frist, dürfen Sie als Käufer*in diese als angemessen annehmen, auch wenn sie objektiv betrachtet vielleicht zu kurz erscheint.
Rücktritt ohne Fristsetzung bei Unzumutbarkeit
Darüber hinaus können Sie als Käufer*in nach § 440 Satz 1 Var. 3 BGB auch ohne vorherige Fristsetzung vom Kauf zurücktreten, wenn Ihnen eine Nacherfüllung nicht zuzumuten ist. Ob eine Nacherfüllung zumutbar ist, muss unter Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall geprüft werden. Dabei kommt es unter anderem auf die Frage an, ob der/die Käufer*in noch darauf vertrauen kann, dass der/die Verkäufer*in eine mangelfreie Leistung (nach)liefern kann. Im vorliegenden Fall konnte die Käufer*in laut BGH-Urteil aufgrund der bereits bei Übergabe vorliegenden Mängel zurecht an der fachlichen Kompetenz der Verkäuferin zweifeln, sodass sie auch ohne vorherige Fristsetzung zum Rücktritt berechtigt war.
2. Praxisbeispiel: Defekte Fahrzeugelektronik
- 10. Juni 2005: Kläger kauft bei der Beklagten (Renault-Niederlassung) auf der Grundlage einer Bestellung vom 23. April 2005 einen Neuwagen zum Preis von 18.500 €
- 23. Juni 2005: Kläger beanstandet per Schreiben Mängel im Bereich der Fahrzeugelektronik
- 27. Juni 2005: Beklagte gibt per Schreiben an, dass ihr die Mängel nicht bekannt seien, und bittet den Kläger um Vorstellung des Fahrzeugs zur Prüfung
- 03. Juli 2005: Kläger erklärt in einem Schreiben, dass es ihm nicht zumutbar sein, sich auf Nachbesserungen einzulassen, weil Wiederauftreten der Defekte trotz Nachbesserungen zu befürchten sei, verlangt Lieferung eines anderen Fahrzeugs bis um 11. Juli 2005
- 13. Juli 2005: Beklagte erklärt per Schreiben, dass eine Ersatzlieferung nicht infrage komme, sie die Mängel aber beseitige, insofern diese nachgewiesen werden könnten
- 15. Juli 2005: Kläger besteht per Schreiben weiterhin auf eine Ersatzlieferung
- 20. Juli 2005: Beklagte gibt per Schreiben an, weitere Schritte erst einleiten zu können, wenn ihr das Fahrzeug zur Prüfung vorgeführt würde
- 30. November 2005: Kläger tritt vom Kauf zurück, verlangt Rückzahlung des Kaufpreises und Schadensersatz
Das Landgericht weist die Klage ab. Und auch die Berufung sowie die Revision des Klägers haben per Urteil vom 10. März 2010 keinen Erfolg. (VIII ZR 310/08)
Verkäufer hat Recht zur Untersuchung der mangelhaften Kaufsache
Als Käufer*in haben Sie im Rahmen der Nacherfüllung nach § 439 I BGB die Wahl zwischen der Beseitigung des Mangels oder der Lieferung einer mangelfreien Sache. Allerdings muss der/die Verkäufer*in nicht auf Ihr Nacherfüllungsverlangen eingehen, bevor Sie ihm/ihr die mangelhafte Kaufsache nicht am Nacherfüllungsort nach § 269 (zumeist Wohnort des/der Verkäufer*in) zur Überprüfung zur Verfügung gestellt haben. Insofern steht die Forderung des Käufers aus dem 2. Praxisbeispiel, die Beklagte solle zunächst einer vollständigen Ersatzlieferung zustimmten, bevor ihr der mangelhafte PKW vorgeführt würde, laut BGH einem Recht auf Rücktritt entgegen. Denn sie kommt faktisch einer Verweigerung der Untersuchung und damit einer Verletzung der vertraglichen Nebenpflicht auf Mitwirkung und Rücksichtnahme aufseiten des Käufers gleich.
Achtung, Änderung!
War die Zurverfügungstellung zum Zweck der Nacherfüllung zuvor noch als „bloße“ Obliegenheit zu verstehen, ist sie seit der Schuldrechtreform im Jahr 2022 gesetzliche Pflicht. Als Verbraucher haben Sie aber wenigstens die Möglichkeit, einen Vorschuss für mögliche Aufwendungen (Lieferung oder Versand etc.) in Zusammenhang mit der Zurverfügungstellung zu verlangen, § 475 Abs. 4.
Aber auch für Verkäufer*innen bringt das reformierte Schuldrecht Änderungen: Laut § 439 Abs. 6 Satz 2 sind diese beispielsweise jetzt grundsätzlich verpflichtet, die zu von der Nacherfüllung betroffene Sache auf eigene Kosten zurückzunehmen (z. B. per Versand, Abschleppdienst, etc.). Zuvor galt das nur, wenn aufseiten des/der Käufer*in ein berechtigtes Interesse an der Rücknahme bestand.