November 26, 2021

TÜV als Beschaffenheitsvereinbarung

„HU neu“ oder „TÜV neu“ als Beschaffenheitsvereinbarung

„HU neu“ und trotzdem nicht fahrtauglich – ein Gebrauchtwagen versagt schon am Tag nach dem Kauf trotz frischer TÜV-Plakette den Dienst. Wir erklären, was Sie laut BGH-Urteil vom 15. April 2015 von einem Fahrzeug mit dem Eintrag „HU neu“ oder „TÜV neu“ im Kaufvertrag erwarten dürfen und welche Rechte Sie als Käufer*in im Falle der Nichterfüllung haben.

Praxisbeispiel

Eine Frau kauft am 2. August 2012 einen 13 Jahre alten Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 144.000 km für 5.000 Euro bei einem gewerblichen Autohändler. Im Abschnitt „Zubehör/Sonderausstattung“ des Kaufvertrags ist der Eintrag „HU neu“ aufgeführt. Die Hauptuntersuchung durch den Technischen Überwachungsverein (TÜV) findet am Tag des Fahrzeugkaufs statt und der Gebrauchtwagen erhält ohne Beanstandungen eine TÜV-Plakette. Am Tag darauf will die Käuferin zu ihrem 900 km entfernten Wohnort fahren. Dabei versagt der Motor des Gebrauchtwagens wegen eines defekten Kraftstoffrelais mehrere Male, bis die Käuferin schließlich Pannenhilfe in Anspruch nehmen muss. Anschließende Untersuchungen des Fahrzeugs ergeben, dass sowohl die Bremsleitungen, die Längsträger, die Querlenker und die Achsträger als auch der Unterboden sowie sämtliche Zuleitungen zum Motor in hohem Maße korrodiert sind.


Die Käuferin klagt auf der Basis der festgestellten Mängel am 30. August 2012 auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs und die Erstattung der Kosten für Pannenhilfe und Reparatur. Das Landesgericht gibt der Klage der Käuferin statt und auch die Berufung des Beklagten wird durch das Oberlandesgericht (OLG) abgewiesen. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt per Urteil vom 15. April 2015 die Entscheidung des OLG (VIII ZR 80/14).

„HU neu“ oder „TÜV neu“ als Verkaufsargument

Die Einträge „HU neu“ oder „TÜV neu“ im Online-Profil oder Kaufvertrag tragen im Gebrauchtwarenhandel oft maßgeblich zur Kaufentscheidung bei. Denn eine neue TÜV-Plakette erweckt bei vielen Käufer*innen den Eindruck, dass sich das Fahrzeug in einem grundsätzlich fahrtauglichen, verkehrssicheren Zustand befindet, von dem auszugehen ist, dass er mindestens zwei weitere Jahre bis zur nächsten Hauptuntersuchung anhält oder leicht herstellbar ist. Außerdem spielt sicherlich der Gedanke, nicht so bald die Kosten für die nächste Hauptuntersuchung und eventuell die damit verbundenen Reparaturen tragen zu müssen, eine wichtige Rolle. Um die Attraktivität ihrer Angebote zu erhöhen, bewerben gewerbliche Autohändler ihre Fahrzeuge deshalb meistens mit dem Hinweis „HU neu“ oder „TÜV neu“.

„HU neu“ als stillschweigende Vereinbarung

Aber was können Käufer*innen von einem Fahrzeug mit einer neuen TÜV-Plakette wirklich zu Recht erwarten? Der BGH begründete die Ansprüche der Klägerin im vorliegenden Fall unter anderem damit, dass die im Kaufvertrag enthaltene Eintragung „HU neu“ die stillschweigende Vereinbarung beinhaltet, dass sich das verkaufte Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe in einem für die Hauptuntersuchung nach § 29 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) geeigneten verkehrssicheren Zustand befindet und die Hauptuntersuchung durchgeführt worden ist. Denn nach § 29 StVZO Abs. 3 darf die Prüfplakette nur dann zugeteilt und angebracht werden, wenn das Fahrzeug zum Prüfzeitpunkt entsprechend nach allen für die Hauptuntersuchung einschlägigen Maßgaben verkehrssicher ist. Dieser stillschweigenden Beschaffenheitsvereinbarung genügte der Gebrauchtwagen aus dem vorliegenden Fall nicht. Vor allem aufgrund von fortgeschrittener Korrosion der vorderen Bremsleitungen, aber auch wegen des schlechten Gesamtzustands war ein gefahrloser Betrieb des Fahrzeugs bereits bei der Übergabe nicht möglich. Die TÜV-Plakette hätte also gar nicht erst erteilt werden dürfen.

Keine generelle Untersuchungspflicht für Gebrauchtwagenhändler 

Es drängt sich die Frage auf, warum der Autohändler nicht auf die Mängel am Fahrzeug hingewiesen hat. Konnte er diese tatsächlich übersehen oder steckte dahinter ein bewusstes Fehlverhalten? Die Klägerin ging wohl von Letzterem aus und erklärte zunächst die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung durch den Beklagten. Das Landgericht sowie das Berufungsgericht bestätigten diese Auffassung, indem sie für den Beklagten wenn auch keine echte so doch eine generelle Untersuchungspflicht annahmen. Denn der Händler müsse prinzipiell davon ausgehen, dass gebrauchte Fahrzeuge fehlerhaft oder zumindest fehleranfällig seien. Der BGH dagegen entschied, dass für den Gebrauchtwagenhändler keine generelle Pflicht zu einer umfassenden Untersuchung der Fahrzeuge besteht und dem Beklagten in diesem Fall deshalb auch keine arglistige Täuschung vorgeworfen werden kann. Insofern es keinen konkreten Verdacht auf vorliegende Mängel wie beispielsweise durch die Kenntnis eines Unfalls gibt, seien Gebrauchtwagenhändler nur zu einer fachmännischen äußeren Besichtigung („Sichtprüfung“) verpflichtet.

Privater Gutachter oder TÜV - Prüfverschulden bleibt beim Verkäufer

Der Beklagte gab an, sich das Fahrzeug angesehen und dabei keine größeren Mängel festgestellt zu haben. Außerdem habe er sich auf die Prüfung des TÜV verlassen. Und in der Praxis wiegt für Kaufinteressierte wohl auch die Beurteilung des TÜV schwerer als die Einschätzung des Verkäufers. Dennoch liegt nach § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Verantwortung für die Erfüllung vertraglicher Verbindlichkeiten stets beim Schuldner, selbst wenn dieser Aufgaben an Dritte delegiert. Das bedeutet, dass im vorliegenden Fall der Verkäufer letztlich auch für das Prüfverschulden durch den TÜV, also die mangelhafte Prüfung des gebrauchten Fahrzeugs im gleichen Maße verantwortlich ist, als hätte er die Prüfung selbstständig durchgeführt. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, dass der TÜV beispielsweise gegenüber privaten Unternehmen, die der Verkäufer auch hätte beauftragen können, mit hoheitlichen Aufgaben auf dem Gebiet der technischen Prüforganisation betraut ist. Der Schuldner, in diesem Fall der Gebrauchtwarenhändler, muss das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen, in diesem Fall des TÜVs, vertreten.

Rechte des Käufers bei Mängeln nach § 437 BGB

Fest steht also, dass das Fahrzeug im vorliegenden Fall bei der Übergabe erhebliche Mängel aufwies, die der vertraglichen Vereinbarung entgegenstanden. Nach § 437 BGB können Käufer*innen bei Mängeln eine Nacherfüllung, also das Beheben der Mängel, fordern. Wird die Nacherfüllung verweigert oder ist aus irgendeinem Grund nicht möglich oder den Käufer*innen nicht zumutbar, dürfen diese vom Vertrag zurücktreten, den Kaufpreis mindern und nach § 440 Schadensersatz verlangen.

Nacherfüllung der Vereinbarung muss zumutbar sein

Ob eine Nacherfüllung für Käufer*innen zumutbar ist, muss unter Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall geprüft werden. Nach Urteil des BGH war der Käuferin aus dem vorliegenden Fall eine Nacherfüllung nicht zuzumuten. Denn insbesondere die Unzuverlässigkeit des Verkäufers beziehungsweise der Umstand, dass dieser bereits bei Übergabe des Fahrzeuges mangelnde fachliche Kompetenz hat erkennen lassen, lässt den Schluss zu, dass das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört ist. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der TÜV das Fahrzeug ebenfalls nicht beanstandet hat. Denn wie bereits erörtert bleibt das Prüfverschulden beim Verkäufer.

Fazit

Wo „HU neu“ draufsteht, muss auch „HU neu“ drin sein. Wer einen Gebrauchtwagen mit dem Vermerk „HU neu“ im Kaufvertrag erwirbt, darf zu Recht davon ausgehen, dass sich das Fahrzeug bei Übergabe in einem verkehrssicheren Zustand befindet. Denn Hinweise wie „HU neu“ oder „TÜV neu“ und übrigens auch ähnliche Angaben zu etwaigen Gebrauchtwagen-Checks sind keine unverbindlichen Fahrzeugbeschreibungen, sondern laut BGH-Urteil eine Beschaffenheitsvereinbarung des angebotenen Fahrzeugs im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB.

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